Jeder Mensch ein Künstler?


Im Horizont der Nachhaltigkeit geht es zentral um ein neues Verständnis von Wachstum und von Entwicklung. Hierfür bietet die Idee der Sozialen Plastik eine noch kaum erschlossene Ressource.


Soziale Plastik lässt sich als eine Art neue Kunstgattung betrachten, die jedoch die Kunstwelt radikal überschreitet.

Das plastische Gestalten ergreift hier nicht mehr nur physisches, sondern auch geistiges und seelisches Material. Die primären Werkstoffe der Sozialen Plastik sind das Denken, Fühlen, Wollen. Auch das Wahrnehmen, das Sprechen, Hören, der Austausch.

Denn was wir in die Welt bringen, ist stets zuerst ein Gedanke, eine Vorstellung und eine Intention, bevor es sich materialisiert: als Mine oder als Schule, als Folter oder als Fürsorge, als Bio-Piraterie oder fairer Handel, als agrarindustrielle Ausbeutung oder als nachhaltige Landwirtschaft.

Die Idee Soziale Plastik zielt somit nicht mehr darauf, Objekte in die Welt zu bringen. Sie will vielmehr den gesellschaftlichen Organismus in all seinen Funktionen aus den gegenwärtigen Deformationen in überhaupt erst humane Formen bringen - human im Sinne von menschenwürdig und wünschenswert.

Dies, die Perspektive einer wünschenswerten kulturellen Evolution, ist der Zielhorizont, vor dem Joseph Beuys das überkommene Verständnis von Kunst zu einem anthropologischen erweiterte, gefasst in die Formel: Jeder Mensch ist ein Künstler.


Joseph Beuys, Hiermit trete ich aus der Kunst aus, Grafik, 1985 © Edition Staeck